Kreis Niederung
von Christine Reich
Der Kreis Niederung gehörte zu den nördlichsten Kreisen der ehemaligen Provinz Ostpreußen. Er grenzte im Norden an den Kreis Heydekrug, im Nordosten an den Kreis Tilsit, im Osten an den Kreis Ragnit, im Südosten an den Kreis Insterburg und im Süden an den Kreis Labiau. Seine westliche Grenze bildete das Kurische Haff. Der größte Teil des ehemaligen Kreises liegt heute im Oblast Kaliningrad, lediglich der nördliche Zipfel in Litauen. Den größten Teil des ehemaligen Kreisgebiets nahm die sogenannte Elchniederung ein, nach der der Kreis 1938 umbenannt wurde. Durch diese Niederung fließt der Fluss Gilge, ein Mündungsarm der Memel, der knapp südlich der Kreisgrenze in das Kurische Haff mündet. Mit dem Ibenhorster Forst am Haffufer und dem Schneckenschen Forst im Süden befanden sich zwei große Waldgebiete im Kreisgebiet.
Für den Kreis Niederung gibt es Unterlagen zu 49 Fundorten in 54 Aktenbänden. Insgesamt wurden 523 Blatt aus 22 Aktenbänden zu 17 Fundorten transkribiert, redaktionell bearbeitet und verschlagwortet. Mit weiteren 32 Bänden zu ebenso vielen Fundorten konnte eine vergleichsweise hohe Anzahl von Akten von der Transkription ausgenommen werden. Der Großteil von ihnen umfasst nur ein bis drei Blätter. Diese sind in der Regel mit Maschine geschrieben und weisen nur einen sehr geringen handschriftlichen Anteil auf.
Besonders umfangreich ist die Dokumentation zum Fundort Linkuhnen. Sie besteht aus sechs Aktenbänden mit insgesamt 459 hand- und maschinenschriftlichen Blättern sowie Bildmaterial. Die Dokumente beziehen sich vornehmlich auf das dortige Gräberfeld, das zwischen 1928 und 1939 von Carl Engel, Kurt Voigtmann, Herbert Jankuhn und Fritz Jaensch ausgegraben wurde. Sie bargen 492 Gräber aus der Römischen Kaiserzeit, der Völkerwanderungszeit und dem Mittelalter. Die erhaltenen Archivalien umfassen Grabungstagebücher, Berichte, Befundzeichnungen, Fotografien, aber auch Presseartikel und umfangreiche Korrespondenzen. Eine monographische Bearbeitung der Funde und Archivalien wurde unlängst vorgelegt (Norbert Goßler (†) u. Christoph Jahn, Wikinger und Balten an der Memel. Die Ausgrabungen des frühgeschichtlichen Gräberfeldes von Linkuhnen in Ostpreußen 1928–1939. Studien zur Siedlungsgeschichte und Archäologie der Ostseegebiete 16 [Kiel 2019]).
Hinweise auf weitere Gräberfelder im Kreisgebiet sind spärlich: In Noragehlen und Tawe wurden menschliche Knochen zusammen mit ordenszeitlichen Scherben entdeckt, in Osseningken ein menschliches Skelett und Pferdeknochen. Vereinzelte Funde von Scherben, wie zum Beispiel aus Andreischken, mögen auf Siedlungen hinweisen. Sicher als solche belegt sind lediglich ein Pfahlbau in Altschemeiten und eine steinzeitliche Siedlung in Dittballen. Zu letzterer existieren in den Akten ein kurzer Bericht von Carl Engel und eine Serie von Fotografien. Auch in Linkuhnen sind Siedlungsbefunde freigelegt worden. In über 30 der insgesamt 54 Aktenbände zum Kreis Niederung finden sich Mitteilungen über Steingeräte, vor allem über Beile und Äxte. Weitere herausragende Einzelfunde sind ein wikingerzeitliches Schwert aus Altlappienen, ein Bronzebeil aus Rautenburg, eine römische Münze aus Ziegelberg und die Reste eines Einbaums unbekannter Zeitstellung aus Lappienen. Die meisten Funde wurden von Paul Lemke, dem zuständigen Kreisdenkmalpfleger, an das Prussia-Museum gemeldet. Aus seiner Feder stammen auch zwei Übersichten zu den Fundstellen und Funden aus dem ehemaligen Kreisgebiet (Paul Lemke, Die Vorgeschichtsfunde der Memelniederung. In: Prussia 28, 1928, S. 358-368; Paul Lemke, Vorgeschichte der Memelniederung [Heinrichswalde/Ostpr. 1935]).