Projektbeschreibung

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Blatt zu Grab 17 aus dem Gräberfeld Tilsit-Splitter in der Handschrift von Felix Peiser (PMA_0772_01.pdf: Seite 18). © Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin.

Das am Museum für Vor- und Frühgeschichte (MVF) in Berlin angebundene Projekt „Die archäologischen Ortsakten aus Königsberg in Ostpreußen“ befasst sich mit einem wissenschaftlich besonders wertvollen archivalischen Bestand aus dem ehemaligen Ostpreußen. Das Königsberger Prussia-Museum besaß eine der wichtigsten ur- und frühgeschichtlichen Sammlungen für den baltischen Raum wie auch für die gesamteuropäische Forschung. In Folge des Zweiten Weltkriegs wurde die Sammlung auseinandergerissen. Dokumente und Fundstücke verloren ihre Sachkontexte, wurden beschädigt oder ganz zerstört. Lange ging die Forschung davon aus, dass die einzigartigen Bestände völlig vernichtet worden wären. Erst mit der politischen Wende der 1990er Jahre stellte sich heraus, dass große Teile in Berlin sowie in Olsztyn und Kaliningrad überdauert hatten. Seither wird die Sammlung schrittweise rekonstruiert, für die Forschung gesichert und erschlossen.

Das sogenannte Ortsarchiv, das heißt die bildliche und schriftliche Dokumentation der archäologischen Denkmäler in Ostpreußen, wird heute in Berlin treuhänderisch verwahrt. Im Zuge der Sichtung und Rekonstruktion wurden die Ortsakten zu insgesamt 2.184 Aktenbänden neu zusammengestellt. Sie dokumentieren 2.006 Fundorte. Diese vertreten in der Regel die gleichnamige Gemarkung, auf deren Areal sich unterschiedlich viele Denkmäler, wie Gräberfelder, Burgwälle oder Hortfunde, befinden können, die von der Steinzeit bis in das Mittelalter datieren. Die Nutzbarmachung dieser Archivalien durch ihre fachgerechte Transkription, ihre systematische Erfassung und Verschlagwortung und ihre analoge und digitale Präsentation ist Ziel des Projekts.

Die Dokumente sind zwischen 1826 und 1943 entstanden und auf Deutsch verfasst. Sie wurden mit der Hand oder mit Maschine geschrieben. Die Autoren sind Wissenschaftler und andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in staatlichen oder kommunalen Institutionen, aber auch Lehrer, Pastoren und Beamte, die sich im Rahmen der Physikalisch-Ökonomischen Gesellschaft, der Altertumsgesellschaft Prussia oder als Kreispfleger mit dem vorgeschichtlichen Erbe in der Region befassten. Auch Grundbesitzer und andere Privatpersonen meldeten archäologische Funde.

Die Unterlagen enthalten ein bis heute kaum erschlossenes archäologisches Wissen. Nur wenige der im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entdeckten Fundstellen sind in größerem Umfang publiziert worden. Selbst ein seinerzeit berühmter Platz wie der Wikinger-Friedhof in der Kaup bei Wiskiauten im Samland wurde in der Tagespresse zwar beschrieben, eine wissenschaftliche Bearbeitung jedoch nie vorgelegt. Darüber hinaus bieten die Unterlagen auch ein großes Potenzial an Fakten und Details zum kulturellen Leben und seiner Entwicklung seit dem frühen 19. Jahrhundert in der Region. Die auf den verschiedenen Ebenen beteiligten Personen und ihre Motive zur Beschäftigung mit den lokalen Altertümern werden in den Akten lebendig. Auch die sich nach und nach vollziehende Institutionalisierung und Professionalisierung lässt sich verfolgen, ebenso wie die politische Instrumentalisierung von Archäologie und Regionalgeschichte spätestens ab den 1930er Jahren.

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Fundmeldung des Kreispflegers Kurt Gettkant zu einem Grab in Langenfeld, Kr. Gerdauen (PMA_1933_01.pdf: Seite 2). © Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin.

Mehr als zwei Drittel der Dokumente sind handschriftlich in deutscher Kurrentschrift, Sütterlin oder lateinischer Schreibschrift verfasst. Insbesondere erstere sind heute für nicht-deutschsprachige oder jüngere Forscherinnen und Forscher nicht mehr ohne weiteres lesbar. Der häufig fragmentierte oder mangelhafte Erhaltungszustand der Papiere und eigenwillige persönliche Handschriften einzelner Personen erschweren eine Entzifferung zusätzlich. Um diese Dokumente einem breiten Nutzerkreis zugänglich zu machen, hat seit 2014/15 eine Gruppe in ehrenamtlicher Mitarbeit die Ortsakten transkribiert.

Diese Transkripte werden im Projekt redaktionell vereinheitlicht und fachgerecht überarbeitet. Darüber hinaus werden ihre archäologischen Inhalte systematisch erfasst, verschlagwortet und dann in digitaler Form in der Datenbank des Akademieprojekts „prussia museum digital“ zur Verfügung gestellt. Die Nutzer haben damit neben dem digitalisierten Originaldokument auch Zugriff auf das zitierfähige Transkript.

Die Bearbeitung der Transkripte erfolgt nach Kreisen. Die Benennung und Schreibweise der Kreise und Fundortnamen folgt dem amtlichen Verzeichnis „Die Wohnplätze des deutschen Reiches“ von Oskar Brunkow aus dem Jahr 1892. Der ‚Brunkow‘ bildete bei der Neuordnung der Ortsakten am Museum für Vor- und Frühgeschichte die Grundlage für den umfangreichen Ortsthesaurus. Dieser wurde dann in gleicher Form in die Datenbank übernommen.

Nach der redaktionellen Bearbeitung und der Verschlagwortung der Aktenbände eines Kreises werden die jeweiligen Transkripte in der Datenbank hochgeladen. Unter dem Stichwort „Ortsakten nach Kreisen“ findet sich eine Charakterisierung des jeweiligen Aktenmaterials, was die Menge der Fundorte und der Dokumente, die wissenschaftliche Bedeutung und die Verteilung auf verschiedene Fund- und Denkmalgattungen anbelangt. Einen detaillierten Blick ermöglicht das „Dokument des Kreises“. Hier wird ein einzelnes Aktenstück vorgestellt, das besonders attraktiv, interessant oder auch kurios sein kann. In der Zusammenschau aller „Dokumente des Kreises“ wird sich am Ende ein Querschnitt durch die verschiedenen Arten von Dokumenten, die in den Prussia Ortsakten vorhanden sind, aber auch durch die Denkmalgruppen und die Vor- und Frühgeschichte Ostpreußens ergeben.

Die Ortsakten aus dem Königsberger Prussia-Museum bilden einen historischen Quellenbestand zum deutschen Kulturerbe, dessen Inhalte zur Archäologie und Kulturgeschichte zukünftig für die nationale und internationale Forschung einfacher zugänglich sein werden. Dies ist nicht nur für die moderne Bodendenkmalpflege wichtig, sondern auch für die universitäre Erforschung und die museale Präsentation der vielfältigen archäologischen Zeugnisse und damit der langen Geschichte der Region.